Die Welt im Monat September: Demokratie in der Krise

von Rainer Molzahn

Demokratie in der Krise

Nicht vollkommen überraschend eigentlich, aber trotzdem:

 

Wer hätte das gedacht?

Schulbildung ist der große politische Divisor weltweit.

 

 

Was heißt das für unsere Demokratien?


Wahlen und Wahlkämpfe

In den USA ging im September der Wahlkampf in die ‚heiße Phase‘, in Europa kehrten die Politiker an die Verhandlungstische zurück, um über ein minimales gemeinsames Handling der Flüchtlingsthematik nachzudenken, in Deutschland fanden Landtags- und Kommunalwahlen statt.

Und überall, so scheint es, wahrscheinlich sogar weltweit, sind die Bruchlinien der politischen Dynamiken, vor deren Hintergrund diese und andere Ereignisse sich abspielen, dieselben ...

Die Pole

Um es zuspitzend, aber hoffentlich nicht zu sehr zu vereinfachen: die Polarisierung, welche die politische Dynamik immer deutlicher bestimmt, ist die zwischen denen von uns, die gut ausgebildet sind, mindestens zwei-, oft mehrsprachig, international konkurrenzfähig, örtlich flexibel, Gewinner der Globalisierung, Zugehörigkeit nicht in erster Linie geographisch definierend –und auf dem anderen Pol die von uns, die keine oder keine gute Ausbildung haben, nicht international konkurrieren können, ortsgebunden sind, Verlierer der Globalisierung, sehr mit ihrer geographischen Zugehörigkeit identifiziert. Die einen wählen links oder mittig, die anderen zunehmend weit rechts, ob nun Trump oder die AfD, Ukip oder Front National, PIS oder Orbán.

Die Bruchlinien zwischen diesen in Opposition stehenden Gruppen werden immer krasser, und im Moment ist schwer vorstellbar, wie eine Annäherung zwischen den entsprechenden Gesellschaftsteilen aussehen könnte.

Die Rolle der Bildung

Neue Zahlen belegen dies sowohl für den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf als auch für das Brexit-Referendum in Großbritannien:

Im Wahlkampf 2012 zwischen Obama und Romney stand es noch 48:50, was die Zustimmung zu den Kandidaten bei weißen Männern ohne Hochschulabschluss betraf. Trumps Vorsprung gegenüber Clinton bei derselben demographischen Gruppierung beträgt im September 76:19. Am besten schneidet Trump ab bei kleinen Geschäftsinhabern ohne College-Abschluss.

 

Dasselbe Muster, ähnlich krass, beim Brexit-Referendum: 75:25 für den Verbleib in der EU unter Menschen mit Hochschulabschluss, 73:27 für den Brexit bei Leuten ohne Schulabschluss. Schaut man auf die Landkarte, so sieht man oft gebildete Remain-Inseln wie Cambridge, Brighton, Exeter oder Norwich inmitten von großen Gebieten, die unter Thatcher ihre Industrien, ihr Stolz und ihr Auskommen genommen wurde und die sich seitdem nicht mehr erholt haben.

Lösungen, die keine sind

Der globalisierte Kapitalismus ist eine Tatsache, die uns alle herausfordert. Aber weder ein Präsident Trump noch ein Post-Brexit-UK noch ein Orbán-Ungarn oder ein Clausnitz, das nun wirklich nur noch den Clausnitzern gehört, werden ihn abschaffen oder seine Auswirkungen auf unseren Planeten stoppen oder das Rad der Geschichte sonst wie zurückdrehen.

Jede Erneuerung, auch jede Revolution, muss von den Tatsachen ausgehen, die jedem sinnlich zugänglich sind, und der globalisierte Raubtier-Kapitalismus ist eine solche unleugbare Tatsache.

Postfaktischer Populismus ist nur der nasse Traum von pubertär fixierten Spätromantikern mit Größenfantasien.

Schwierigkeiten des Dialogs

Wie aber kann der politische Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, die in zunehmender Polarisierung und Entfremdung voneinander Wahlentscheidungen bewirken, die unser aller Schicksal bestimmen? Denn: wir alle sind ja das Volk – wie Frau Merkel das letztens so unnachahmlich auf den Punkt brachte.

Ich bin ein bisschen ratlos, habe ich mich doch selbst schon bei dem Gedanken erwischt, man könnte doch Clausnitz per Referendum einfach aus der Bundesrepublik Deutschland entlassen. Oder vielleicht gleich ganz Sachsen. Aber ich weiß natürlich, so geht das auch nicht.

Und trotzdem habe ich die Fantasie, dass, wenn die ungebildeten Globalisierungsverlierer Wahlen gewinnen, oder die Kandidaten, die sich ihrer bedienen, dass dann Verhältnisse herauskommen, siehe Polen oder Ungarn, unter denen ich gar nicht leben möchte.

Und ich ahne zumindest, dass die Anderen, die lokal identifizierten AfD-Trump-Ukip-Unterstützer, sich von den gebildeteren Elite-Angehörigen verlassen und eigentlich verraten fühlen und sie als ‚linksversiffte‘ Kollaborateure des Fremden verstehen.

Was auf dem Spiel steht

Die zunehmende Distanz und Entfremdung zwischen diesen Gruppen unseres großen Volkes (ich meine das weltweit) ist eine beträchtliche Gefahr für unsere Demokratie. Ich will aber in keinem anderen politischen System leben als in einer Demokratie. Deswegen ist der Dialog zwischen uns Entfremdeten wichtig. Auch wenn er tiefes Durchatmen beinhaltet, so wie für mich beim Schreiben dieser Zeilen. Aber das wird den Anderen auch nicht anders gehen.

Ein unwiderstehliches Angebot

Wir vom Wandelforum sind natürlich auch Soldat*innen friedlicher Transformationsprozesse, und deswegen bieten wir schon mal blanko an dieser Stelle an, alle Dialoge an-, durch- und ab zu moderieren, die sich um dieses Thema kümmern. Wir wollen nicht schuld daran sein, dass unsere liebe Demokratie darüber verzagt.


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Kommentare: 1
  • #1

    Friede (Freitag, 14 Oktober 2016 10:07)

    Danke für Dein Denken.
    Als frisch Ausgeschulte - und mit Rückblick auf unsere Schulen hier in unserem Lande: Wir brauchen eine curriculare Entrümpelungsaktion, die größere Räume für das Denken schaftt, die intelligente und weniger intelligente Gedanken in einem notenfreien Raum halten kann.

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