Gedanken zum Krieg

von Anne Grökel

Gedanken zum Krieg

Seit dem 24.02.2022 fühle ich mich so ohnmächtig wie nie zuvor.  

 

Ich bin unglaublich behütet und privilegiert aufgewachsen. In meiner Grundschulzeit lernte ich noch Lieder wie „Kleine weiße Friedenstaube“ oder Gedichte wie „Frieden ist schön“. Für mich war Krieg etwas Abstraktes.  

 

Ich wuchs mit einem unbeirrbaren Glauben daran auf, dass der Krieg und die Auswirkungen der Atombombe sowie die Tatsache der Existenz dieser Waffen schon dafür sorgen würden, dass es so etwas nie wieder geben könnte.  

 


Natürlich war mir ab einem gewissen Alter auch klar, dass es zu jeder Zeit irgendwo auf der Welt Regionen gab, die Kriege führten. Und dennoch war ich so privilegiert und auch naiv, mir in meinem jugendlichen Leichtsinn einzureden, es beträfe mich ja nicht. Es war doch so weit weg. Ich glaube, das erste Mal, dass ich ein bisschen mehr wissen wollte, was Krieg eigentlich ist, war 1986, als ich zu meinem sechsten Geburtstag von meinem Opa eine (ganz wundervolle) Geburtstagskarte bekam und ich mir von meiner Mutter erklären lassen musste, was der Satz bedeute: „Wir haben sie gerade noch retten können.“

Postkarte aus dem Jemen, März 1986
Postkarte aus dem Jemen, März 1986

Mein Opa befand sich zu dieser Zeit als Arzt im Jemen und es herrschte dort Bürgerkrieg. Erst vor wenigen Jahren, als ich seine Tagebücher aus dieser Zeit zu lesen bekam, begriff ich, wie besonders seine wenigen Postkarten waren, die ich von dort bekam. Mit ihm konnte ich mich darüber nie austauschen. Er starb ein Jahr später bei seinem zweiten Aufenthalt im Jemen. Ich hatte meine Großeltern nicht lange genug, um das Alter zu erreichen, mich mit ihnen über ihre Erlebnisse im Krieg, welchem auch immer, zu unterhalten. Das ist ein Stück meiner Familiengeschichte, was mir schmerzlich fehlt. Ich hätte so viele Fragen gehabt. Sie haben erlebt, wie einer der schrecklichsten Kriege beendet wurde.  

 

Wie es gelungen ist, Frieden zu schaffen?  

 

Wie ihre persönlichen Erfahrungen damit waren? Das hätte mir heute vielleicht geholfen, wenn ich ohnmächtig und gelähmt bin, weil mir die Ideen ausgehen, wie der Wille zum friedlichen Miteinander stark werden kann, auch ohne vorher eine völlige Zerstörung erlebt zu haben. 

 

Beim Betrachten der weltpolitischen Lage liegt es mir besonders am Herzen, nach Wegen zu suchen, durch die politisch gegensätzliche Lager im diplomatischen Diskurs bleiben können. Wenn wir nämlich eines aus der Geschichte gelernt haben sollten, dann, dass gegenseitige Anfeindungen, undifferenzierte Lagerbildung und das vollständige Ausblenden der Beweggründe bis zum Status Quo einzig und allein die Spaltung vertiefen und das Problem damit eskalieren lassen.  

 

Grundsätzlich sind offene Konflikte nicht immer schlecht und manchmal tatsächlich notwendig, weil sie dadurch ans Tageslicht gebracht werden, betrachtet und somit neue Wege der Lösung gefunden werden können.  

 

Aber Konflikte mit Waffengewalt zu lösen, können wir Menschen uns nicht mehr leisten.  

 

Davon abgesehen, dass sie noch nie zu guten Lösungen geführt haben. Wir sind, was den technologischen Stand unserer Waffen angeht, schlicht und ergreifend zu weit gegangen. Wir haben uns schon kaum unter Kontrolle, wie man an der Enthemmung von Aggressionen gerade im Ukraine-Konflikt eindrücklich sehen kann. Aber viel schlimmer wiegt, dass wir unsere Waffen nicht mehr unter Kontrolle haben. Deren Zerstörungskraft ist so gewaltig, dass wir uns kaum ausdenken können, was sie anrichten werden, wenn die Verantwortlichen am entscheidenden Knopf sämtliche Hemmungen verlieren. 

 

In Kriegen geht es selten um Interessen, wie sie auch als Begründung für diesen Angriffskrieg auf die Ukraine gebraucht wurden. Es geht nicht um Menschlichkeit, um Fairness oder darum, andere Menschen zu schützen. Kriege werden geführt, weil Machthaber (hier kann ich auf das Gender-Sternchen verzichten) geopolitische und wirtschaftliche Interessen verfolgen. Unsere Welt hat einen Grad der Ausbeutung erreicht, bei dem die Knappheit der natürlichen Ressourcen, auf die wir unsere gesamte Zivilisation gebaut haben, Kriege auslöst. Wir waren noch nie gut darin, unsere Kräfte zu bündeln, um GEMEINSAM tragfähige Lösungen zu finden, durch die beispielsweise die Klimakrise bewältigt werden könnte. Menschen, denen die Macht zu Kopf steigt, bringen lieber mit all ihrer Energie die eigenen Schäfchen ins Trockene. Diese Allmachtsfantasien sorgen auch dafür, dass man sich und die eigenen Schäfchen für die einzig rettenswerte Spezies hält. Das ist schon einmal gründlich schiefgegangen. Und das wird es auch wieder. 

 

Im Jahr 1917 sind in St. Petersburg Frauen für „Frieden und Brot!“ auf die Straße gegangen, um auf die unsäglichen Zustände aufmerksam zu machen. Daraus wurde ein Generalstreik, der die Abdankung des russischen Zaren nach sich zog. Auch die folgenden Zeilen von Erich Kästner weisen den Weg in eine weiblichere Welt des Friedens und der Gemeinschaft: 

 

 

Fantasie für Übermorgen

Erich Kästner

 

Und als der nächste Krieg begann, 

da sagten die Frauen: NEIN! 

Und schlossen Bruder, Sohn und Mann 

Fest in der Wohnung ein. 

 

Dann zogen sie, in jenes Land, 

wohl vor des Hauptmanns Haus 

und hielten Stöcke in der Hand 

und holten die Kerls heraus. 

 

Sie legten jeden übers Knie 

Der diesen Krieg befahl: 

Die Herren der Bank und Industrie, 

den Minister und General. 

 

Da brach so mancher Stock entzwei. 

Und manches Großmaul schwieg. 

In allen Ländern gab’s Geschrei, 

und nirgends gab es Krieg. 

 

Die Frauen gingen dann wieder nach Haus, 

zum Bruder und Sohn und Mann 

und sagten ihnen, der Krieg sei aus! 

Die Männer starrten zum Fenster hinaus 

Und sahn die Frauen nicht an… 

 

 

Sicher würde es nicht so funktionieren, wie Kästner es hier beschreibt. Aber wir Frauen bringen nicht unter Schmerzen Leben hervor, um es mit Waffengewalt wieder zu zerstören. Weibliche Qualitäten braucht unsere Erde, denn nur mit Liebe, Fürsorge, klarem Verstand und Kommunikationskunst kann Frieden geschaffen und dauerhaft erhalten bleiben.  

 

Das kann jede*r, wenn der Wille da ist! 


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Kommentare: 4
  • #1

    Gudrun Frank (Mittwoch, 09 März 2022 15:56)

    Danke Anne,
    fuer die ganz persönliche Diagnostik! Sie unterstreicht Deine Kompetenz����
    & herzlichen Glueckwunsch zum Geburtstag!

  • #2

    Monika (Mittwoch, 09 März 2022 20:48)

    Danke für deine Geschichte. Die Postkarte aus dem Jemen hat mich sehr berührt.

  • #3

    Thomas (Sonntag, 13 März 2022 07:03)

    Ein wundbarer Artikel Anne! Das sehe ich genauso, bis auf die Ohnmacht, aber die hatte ich Jahrzehnte zuvor im Jugoslawienkrieg.

  • #4

    Friede (Dienstag, 05 April 2022 04:08)

    Ach Anne, danke für deine Worte, deine Geschichte und auch die wunderbare Kästner-Zeilen. Man sollte aus diesem Mix ein Theaterstück draus machen.

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