'Geflochtenes Süßgras' - ein radikaler Vorschlag zu unserer kulturellen Transformation von Robin Wall Kimmerer

von Rainer Molzahn

 

geflochtenes süssgras

Robin Wall Kimmerer (Jahrgang 1953) ist Botanikerin, Ökologin, Feministin, Älteste, Angehörige des indigenen Irokesenvolkes der Potawatomi, und sie ist in der Art und Weise, in der sie schreibt, auch eine unwiderstehliche Poetin. Wahrscheinlich hätte ich mich in sie verliebt, wenn ich ihr 1972 in Minneapolis begegnet wäre … Warum ich die Gedanken und Erkenntnisse, die sie uns in ihrem Bestseller (!!) ‚Geflochtenes Süßgras‘ geschenkt hat, hier mit euch teilen möchte, ist aber ...


Die Lektüre von ‚Geflochtenes Süßgras‘ kam für mich auf fast zauberische Weise zum kairologisch richtigen Zeitpunkt, als ich mitten im Prozess des Denkens über unsere Menschenpflichten war, im Frühsommer 2022: Klimakrise, Ukrainekrieg, Energiekrise, Lebenshaltungskosten-Krise, kollektive wie individuelle Lebensstilkrise – wie viele simultane Krisen braucht es noch? Und wie lassen sie sich transkulturell und fruchtbringend benennen? Und von wem? Was genau gibt es für uns zu lernen, und wer kann uns lehren? 

geflochtenes süssgras

Als ich R. W. Kimmerers Buch las, war das für mich eine vielschichtige, immer wieder berührende und inspirierende Begegnung in allen Dimensionen meines lebendigen Seins. Sie hat mich im tiefsten Sinne gelehrt: Anthropologisch. Philosophisch. Psychologisch. Ökonomisch. Ökologisch. Das gibt es nicht oft – aber es ist das Elixier meines Lebens. 

 

Mein Lernprozess wurde durch die ‚virtuelle‘ Begegnung mit Ms Kimmerer weder angestoßen noch abgeschlossen, aber paradigmatisch inspiriert: sie kam auf zauberische Weise zum richtigen Zeitpunkt. Als wenn ich auf diese Begegnung schon hingeträumt hätte, ohne das benennen zu können: Kairos in Hochform. Das Buch ist also meine herzliche Leseempfehlung; künstlerisch und wissenschaftlich überzeugend. Hier einige Textstellen, die ganz besonders in mir resoniert haben, inklusive meiner Resonanz. 

"Bei Experimenten geht es nicht um Entdeckungen, sondern um das Zuhören und das Übersetzen des Wissens anderer Wesen."

 

Ja, absolut. Aber ist genau das nicht letztlich das Wesen der Ent-Deckung?

Zu lernen aus dem, was die lebendige Erde uns schenkt? Und darauf schöpferisch zu antworten?

 

"Geschichten vom Wendigo werden am Lagerfeuer Kindern erzählt, damit sie die Regeln befolgten. Denn nur dadurch würde sie dieser Unhold nicht auffressen. Der Wendigo ist ein Mensch, der zu einem Kannibalen geworden ist."

Ist der Wendigo nicht die psychotisch gespaltene Unmenschlichkeit des globalisierten Zwangskapitalismus?

Kurzfristiger monetärer Profit über alles? Nach uns – wörtlicher als wir ertragen könnten zu denken – die Sintflut?

 

"Das Heilige und der ‚Entschädigungsfonds‘ [wie bizarr!]: Wir werden mit Informationen über unsere Zerstörung der Welt überschwemmt und hören fast nichts darüber, wie wir sie pflegen können – es ist nicht verwunderlich, dass Umweltbewusstsein zum Synonym für düstere Vorhersagen und Ohnmachtsgefühle wird."

Ja. Und warum neigen wir dazu, diese Informationen überhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie uns in einer monetären Excel-Tabelle präsentiert wird?

In dem Wissen, oder zumindest der Ahnung, dass Geld erst dann die Welt regiert, wenn es keine Beziehungen mehr gibt? „Beim Geld hört die Freundschaft auf“? Eins jedenfalls weiß ich:

 

Letzten Endes ist Freundschaft – ist Beziehung – wichtiger als Geld. Freundschaft und Beziehung, in Gegenseitigkeit, mit allem Seienden, Gewesenen und Werdenden in unserer Welt. 

Volkswirtschaft, und ihrem Gefolge Betriebswirtschaft, sind Voodoo-Wissenschaften.

Ihre unbewussten und also verschwiegenen Voraussetzungen liegen in der Wendigo-besessenen Absage an jede Form von Beziehung.

Völlig absurd, dass in unseren Mainstream-Medien von ‚Wirtschafts-Weisen‘ die Rede sein sollte!

Man müsste lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre… 

 

"Hört! Hört! Hört! Die Welt ist mehr als euer gedankenloses Pendeln. Wir, euer Pfand, sind euer Reichtum, eure Lehrer, eure Sicherheit, eure Familie. Euer seltsamer Hunger nach Bequemlichkeit sollte nicht das Todesurteil für den Rest der Schöpfung bedeuten."

Genau. Schöner kann man nicht dazu auffordern, die Ohren aufzusperren, um vom Wissen anderer Wesen zu lernen – in Demut, und dem Wissen um unsere Größe und Verantwortung.

 

Die Arbeit an der Charta der Verantwortlichkeiten, für die ich, für die wir im Wandelforum eintreten, muss damit beginnen, all unsere Sinnesorgane ganz weit zu öffnen. Auch und gerade, wenn es schmerzt. Da müssen wir durch!

Die Washington Post schrieb:

 

Für ihre Leserinnen und Leser ist Kimmerer ein Star. Ihre Arbeit ist transformativ.

„Ich bin quer durchs Land gefahren und habe ihr zugehört, wie sie das Hörbuch vorgelesen hat, und ich musste mehrmals anhalten", sagt der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Autor Richard Powers. „Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich konnte die Straße nicht sehen.“ Er wurde ein Fan von Kimmerer, lange bevor sie sich auf der Bestsellerliste niederließ. Als Hommage benannte er eine Figur in seinem Roman Erstaunen nach ihr.

 

Kimmerer ist bescheiden bei der Einschätzung ihres Talents, wenn sie behauptet, sie sei keine "professionelle Schriftstellerin". Für „Gathering Moss", ein Buch im Universitätsverlag aus dem Jahr 2003, das auf akademischen Forschungen beruht und als Inspiration für Elizabeth Gilberts Roman Das Wesen der Dinge und die Liebe diente, erhielt sie die angesehene John-Burroughs-Medaille für Naturbücher. Auf dem Cover von Geflochtenes Süßgras preist Gilbert das Buch als „eine Hymne der Liebe an die Welt". Wäre Kimmerer nicht Botanikerin geworden, sagt sie, dann wäre sie eine Poetin geworden.

Ich möchte hier öffentlich und ein für alle Mal Robin Wall Kimmerer danken für die Inspirationen, die mich ermutigt und herausgefordert haben, mich dieser Kernfrage menschlicher Existenz auf unserem Heimatplaneten zu stellen: 

 

Verläuft der Prozess des Lebens zyklisch, immer im Kreis? Oder fortschreitend, Schritt für Schritt? Oder beides? Und wenn ja: WIE GENAU?

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Oder doch, in Rhythmus und Reim? Gibt es einen Ausweg aus der Verdammnis dieser Polaritäten? Und welche Rolle, wenn überhaupt eine, auch noch so kleine, spielt dabei unser liebes Bewusstsein?

 

Mehr dazu demnächst, wenn es wieder heißt: 'den Beobachter beobachten? Watsolldatdann???'

Watch this space …  

 

Aloha, Rainer


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Kommentare: 2
  • #1

    Marcus (Freitag, 23 Dezember 2022 11:27)

    Rainer, so großartig deine Zeilen und vielen Dank für die Inspiration! Ich möchte mehr erfahren. Frohes Fest und liebe Grüße �

  • #2

    Rainer (Freitag, 23 Dezember 2022 19:52)

    Danke, lieber Marcus, für deine Resonanz! Mehr zu dem Thema demnächst...
    Auch dir und deinen Lieben ein frohes Fest. Bis bald!

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